Bibliographische Angaben
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft 1781/1998. Hamburg: Felix Meiner.
Textstelle
Die Welt hat keinen Anfang […] Denn man setze: sie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Dasein ist, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht ist, so muß eine Zeit vorhergegangen sein, darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit. Nun ist aber in einer leeren Zeit kein Entstehen irgend eines Dinges möglich: weil kein Teil einer solchen Zeit vor einem anderen irgend eine unterscheidende Bedingung des Daseins, vor die des Nichtseins, an sich hat (man mag annehmen, daß sie von sich selbst, oder durch eine andere Ursache entstehe). Also kann zwar in der Welt manche Reihe der Dinge anfangen, die Welt selber aber kann keinen Anfang haben, und ist also in Ansehung der vergangenen Zeit unendlich. (A427/B455)
Argumentrekonstruktion
- Die Welt hat einen Anfang in der Zeit. (Annahme)
- Wenn die Welt einen Anfang in der Zeit hat, so muss eine Zeit vorhergegangen sein, darin die Welt nicht war.
- Es gab eine Zeit, darin die Welt nicht war. (Zwischenkonklusion, aus 1,2)
- Kein Teil einer Zeit, darin die Welt nicht war, hat vor einem anderen irgendeine Bedingung des Daseins, die ihn vom Nichtsein unterscheidet.
- Wenn kein Teil einer Zeit vor einem anderen irgendeine Bedingung des Daseins hat, die ihn vom Nichtsein unterscheidet, dann ist darin kein entstehen irgendeines Dinges möglich.
- In einer Zeit, darin die Welt nicht war, ist kein Entstehen irgendeines Dinges möglich. (Zwischenkonklusion, aus 4,5)
- Die Welt ist ein Ding. (implizit)
- Das Entstehen der Welt ist unmöglich. (Zwischenkonklusion, implizit, aus 3,6,7)
- Etwas, das nicht entstehen kann, hat keinen Anfang in der Zeit. (implizit)
- Die Welt hat keinen Anfang in der Zeit. (Aus 8,9)