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Weil der australische Philosoph Frank Jackson der Hauptfigur einer kleinen Geschichte den Allerweltsnamen „Mary“ gegeben hat, ist das Argument, das diese Geschichte illustrieren soll, als Mary-Argument (oder, kürzer, Mary) bekannt. Es ist eines der berühmtesten Argumente in der Philosophie des Geistes (philosophy of mind) geworden, obwohl Jackson es selbst später skeptisch gesehen hat. Es ist ein Argument gegen eine Position, die den Namen „Physikalismus“ („physicalism“) trägt. Aus dem Argument geht nebenbei recht gut verständlich hervor, worin diese Position besteht.

Bibliographische Angaben

Frank Jackson, Journal of Philosophy, 83/5 (1986), 291-295 [PhilPapers] [DOI]

Textstelle

Jacksons Argument lautet:

„Mary is confined to a black-and-white room, is educated through black-and-white books and through lectures relayed on black-and-white television. In this way she learns everything there is to know about the physical nature of the world. She knows all the physical facts about us and our environment, in a wider sense of “physical” which includes everything in completed physics, chemistry and neurophysiology [...]. If physicalism is true, she knows all there is to know. […] It seems, however, that Mary does not know all there is to know. For when she is let out of the black-and-white room or given a color television, she will learn what it is like to see something red, say. This is rightly described as learning – she will not say ‘ho, hum.’ Hence, physicalism is false.”

Argumentrekonstruktion

Es scheint auf den ersten Blick so, dass das Mary-Argument ein ganz einfach gebautes Argument ist, nämlich ein so genannter modus tollens, kurz m.t.: Wenn p, dann q; nun aber nicht q; also nicht p.

Rekonstruktionsversuch

Prämisse 1: Wenn der Physikalismus wahr ist, weiß Mary alles, was es zu wissen gibt.
Prämisse 2: Mary weiß nicht alles, was es zu wissen gibt.
Konklusion: Der Physikalismus ist nicht wahr. (modus tollens aus P1, P2)

Der modus tollens wird für gewöhnlich als gültig anerkannt und ist auch ein gültiger Schluss der klassischen Aussagenlogik. Dieser erste Rekonstruktionsversuch fängt zwar schon wichtige Elemente des Textes ein. Aber er berücksichtigt einen Punkt nicht, der doch zum Kern des Arguments gehört: das Lernen. Es ist daher besser, eine etwas kompliziertere Rekonstruktion vorzunehmen, in der dieser Punkt berücksichtigt ist. In ihr ist der modus tollens kombiniert mit einem so genannten modus ponens, kurz m.p.: Wenn p, dann q; nun aber p; also q.

Rekonstruktion

Prämisse 1: Wenn der Physikalismus wahr ist, weiß Mary alles, was es zu wissen gibt.
Prämisse 2a: Wenn Mary etwas lernt, dann weiß Mary nicht alles, was es zu wissen gibt.
Prämisse 3: Mary lernt etwas.
Zwischenkonklusion Z: Mary weiß nicht alles, was es zu wissen gibt. (m.p. aus P2a, P3)
Konklusion: Der Physikalismus ist nicht wahr. (m.t. aus P1, Z)

Der modus ponens wird gewöhnlich ebenfalls als gültig anerkannt und ist auch ein gültiger Schluss der klassischen Aussagenlogik.

Kommentar

An der deduktiven Gültigkeit besteht kein Zweifel. Die Frage ist, ob das Argument auch stichhaltig ist. Das ist so, falls es nicht nur deduktiv gültig ist, sondern auch seine Prämissen wahr sind.

Um sich fragen zu können, ob die Prämissen wahr sind, muss man sie zunächst inhaltlich verstehen. Dafür muss man ungefähr wissen, was das Wort „Physikalismus“ bedeutet. Man kann das indirekt den ersten Sätzen des zitierten Textes entnehmen: Physikalismus ist die These, dass alles physikalisch ist. Etwas genauer gesagt: Physikalismus ist die These, dass alle Tatsachen (Fakten) physikalische Tatsachen sind. Daraus folgt: Wenn der Physikalismus wahr ist, dann kennt jemand, der alle physikalischen Tatsachen kennt, überhaupt alle Tatsachen. Zurzeit sind längst nicht alle physikalischen Tatsachen bekannt. Das berücksichtigt Jackson, indem er die physikalischen Tatsachen in einem weiten Sinn charakterisiert: als diejenigen Tatsachen, die eine dereinst vollendete Naturwissenschaft, die Physik, Chemie und Neurowissenschaft vereinigt, erkannt haben wird.

Da das Argument gültig ist, muss ein Verteidiger des Physikalismus, der seine Stichhaltigkeit bestreitet, wenigstens eine der Prämissen bestreiten. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten.

Zweifel an der Stichhaltigkeit 1: P2a zugeben und P3 bestreiten: Ja, wenn Mary etwas (Neues) lernen würde, dann wäre der Physikalismus falsch. Aber Mary lernt gar nichts Neues. Lernen kann man nämlich nur etwas, was es zu wissen gibt, und sie weiß schon alles. Sie gewinnt bloß neue (vielleicht überwältigende) Eindrücke.

Variante, die ebenfalls P3 bestreitet: Mary lernt nichts Neues. Sie weiß sogar schon, wie rote und gelbe Dinge aussehen. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, alles zu wissen. Diese Variante illustriert Daniel Dennett mit einer Fortsetzung der Geschichte: Man zeigt Mary als erstes eine blaue angemalte Banane und sie reagiert (sinngemäß) mit „Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich?” (Dennett 1991, 399).

Zweifel an der Stichhaltigkeit 2: P3 zugeben und P2a bestreiten. Mary lernt zwar etwas Neues, nämlich: wie es sich anfühlt, rot zu sehen. Aber der Physikalismus ist trotzdem nicht falsch. Denn Mary lernt nichts, was im hier einschlägigen Sinne des Wortes „Wissen“ Wissen ist. Das bezieht sich auf Tatsachen, und Mary hat schon komplettes Tatsachenwissen. Rot-Eindrücke (oder wie es ist, sie zu haben) sind keine Tatsachen.

Formale Detailanalyse

Das Argument lässt sich wie folgt als gültiger Schluss der klassischen Aussagenlogik formalisieren:

Abkürzungsverzeichnis

p:p: Der Physikalismus ist wahr.
q:q: Mary weiß alles, was es zu wissen gibt.
r:r: Mary lernt etwas.

Rekonstruktion

1pqp \to qPrämisseP1
2r¬qr \to \neg qPrämisseP2a
3rrPrämisseP3
4¬q\neg q2,3 modus ponens
5¬p\neg p1,4 modus ponens

Literaturangaben

  • Daniel Dennett (1991): Consciousness Explained, Boston: Little, Brown, & Co.
  • Peter J. Ludlow, Yujin Nagasawa und Daniel Stoljar (Hrsg.) (2004): There’s something about Mary: essays on phenomenal consciousness and Frank Jackson’s knowledge argument, MIT Press, Cambridge (Massachusetts).