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Immanuel Kant: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit

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Rekonstruiert wird Kants Argument für die These, dass die Welt einen Anfang in der Zeit hat. Zusammen mit Kants Argument für die zugehörige Antithese -- dass die Welt keinen Anfang in der Zeit hat, -- bildet es die erste Antinomie der reinen Vernunft. (Wir ignorieren hier die entsprechenden Behauptungen für die Begrenztheit/Unbegrenztheit des Raumes.)

Bibliographische Angaben

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft 1781/1998. Hamburg: Felix Meiner.

Textstelle

Die Welt hat einen Anfang in der Zeit. […] Denn man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang: so ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkte eine Ewigkeit abgelaufen und mithin eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt verflossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe, daß sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein kann. Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmöglich, mithin ein Anfang der Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daseins; welches zuerst zu beweisen war. (A426, B454)

Argumentrekonstruktion

Die Argumentation hat die Form eines Widerspruchbeweises. Aus der Annahme, dass die Welt keinen Anfang in der Zeit habe, wird geschlossen, dass eine unendliche Reihe durch sukzessive Synthesis vollendet wäre, was unmöglich ist. Somit ist die Annahme zu verwerfen.

  1. Die Welt hat keinen Anfang in der Zeit. (Annahme)
  2. Wenn die Welt keinen Anfang in der Zeit hat, dann ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Ewigkeit abgelaufen.
  3. Wenn bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Ewigkeit abgelaufen ist, dann ist eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt vollendet.
  4. Wenn eine Reihe von Zuständen unendlich ist, kann sie durch sukzessive Synthesis nicht vollendet werden.
  5. Eine Reihe aufeinander folgender Zustände kann nur durch sukzessive Synthesis vollendet werden. (implizit)

  1. Die Welt hat einen Anfang in der Zeit.

Kommentar

Gemäß einer alternativen Rekonstruktion der obigen Textpassage schließt Kant vorerst auf eine stärkere Konklusion, nämlich die Unmöglichkeit der Annahme, dass die Welt einen Anfang hat, und erst in einem weiteren Schritt aus der Unmöglichkeit der Annahme auf ihre Falschheit. Prämisse 5 ist in der Textstelle nicht explizit. Eine Diskussion des Argumentes müsste insbesondere auf Kants Begriff der „sukzessiven Synthesis“ näher eingehen, um Kants Definition der Unendlichkeit einer Reihe zu erörtern („Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe, daß sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein kann.“).

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Literaturangaben